Tausend Meilen und Millionen Tropfen...
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Daß ein paar Leute vom Organisations-Team
der „Rheinhessen-Rallye“ im Mai nach Italien aufbrechen, um dort der Mutter
aller Rallyes, der mille miglia, die Ehre zu erweisen, hat sich ja mittlerweile
herumgesprochen. So war es auch nicht verwunderlich, daß Doris Michel
und Frank Bernhardt, beide noch recht jung im Team der Rallye, großes
Interesse zeigten, sich dieses Spektakel mal live anzuschauen. Gemeinsam
mit Markus Frieauff sattelten sie den Super Seven bzw. den Alfa Spider
und düsten über die Alpen gen Süden. Björn Nordmann
konnte trotz anderer Termine am Wochenende nicht ganz widerstehen und kam
wenigstens bis Argenta mit. |
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Erstes großes Highlight war
natürlich die Piazza Vittoria in Brescia. Wenn alljährlich donnerstags
morgens die ersten Schätze der Automobilgeschichte losbrüllen
und sich die Stadt mit scheinbar unendlich vielen Klassikern und Klassiker-Fans
füllt, ist es sofort wieder da, das eigentümlich mille-Fieber.
Es äussert sich zuerst in hektischem Kopf-herumreissen beim Start
irgendeines Motors in irgendeiner Ecke der Piazza, um dann in leichtes
bis mittleres Kribbeln in den Fingerspitzen überzugehen, wenn die
ersten Teams auf die Strecke gehen. Und natürlich sind auch jede Menge
alte Bekannte wieder zu treffen: Promis wie Jacky Ickx und Karl-Friedrich
Scheufele, weniger prominente, aber attraktive Damenteams wie Arianna Gnutti/Carlotta
Bonizzoli (beide Teams übrigens auf Porsche 550 Spyder) und ganz unprominente,
aber umso sympathischere wie die „Rheinhessen“-Teilnehmer Anja Schukalla/Volker
Lenhardt mit ihrem Triumph GT 6. |
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Ohne Handies wäre allerdings
ein Treffen purer Zufall gewesen, so groß ist der Andrang in der
Innenstadt von Brescia. Daß es auch mit Handy nicht einfach war,
zeigt nachfolgender, ungekürzter Dialog zwischen Björn und Markus,
die sich auf ein und demselben Platz zusammentelefonieren mussten:
„Hey, Björn, wir sind hier
bei den Polizeimotorrädern!“ -
„Wo sind die?“ -
„Hinter dem Bus!“ -
„Hier ist kein Bus!“ –
„Hä? Wo stehst du denn?“ –
„Na, direkt vor der Kirche!“ –
„Hier iss keine Kirche!“ –
„??“ –
„??“ –
„??“ –
„??“ –
„Äh, ich glaub du bist auf
nem ganz andren Platz!!“
Aber schließlich fand man
sich dann doch noch... |
Schwieriger wurde
es dann schon mit dem geplanten Einreihen ins fahrende Feld. Markus (ganz
erfahrener Mille-Teilnehmer) hatte vorher von einem schönen Restaurant
direkt am Gardasee berichtet, in dem man zu Abend essen könne, weil
die Autos daran direkt vorbeiführen. Tja, nur stellte man dann plötzlich
fest, daß die Route dieses Jahr gar nicht am Gardasee entlang führt...eieiei...


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So wurde aus dem schönen Restaurant
nur eine Tankstelle. Aber dafür fielen die Reaktionen der Teilnehmer
umso begeisterter aus, als wir mit unserer Brasilien-Fahne am Straßenrand
standen. Diese Fahne war seit 1994 jedes Jahr bei der mille miglia dabei
und zählt für manche Teilnehmer schon ebenso zum Inventar wie
die Schweizer Zimmermanns-Lehrlinge oder der alte Fiat Multipla, der auf
jeder Passhöhe mit seinem „Fan Point“ anzutreffen ist. Man kennt sich,
auch unter den „Trittbrettfahrern“, wie die mitfahrenden Fans oft genannt
werden, und man feiert sich auch gegenseitig ein bißchen. |
Nachdem einige Vorkriegsautos durchgewunken
waren, reihten wir uns ein und fuhren mit den Teams in die Nacht, Richtung
Ferrara. Dabei ging es mit 80 Sachen zweispurig durch Ostiglia, vorbei
an jubelnden Menschen, von Erstklässlern bis zu an den Straßenrand
verfrachteten Altenheimbewohnern. Und die Polizisten auf jeder Kreuzung
feuerten uns eher noch an als daß sie uns abgebremst hätten...bella
italia! |
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Am nächsten Morgen weckten uns,
wie jedes Jahr, die ersten Worte des Sprechers, der das Feld bei der Durchfahrt
durch Argenta vorstellt. Und genau an dieser Straße liegt unser Stammhotel.
Was gibt es schöneres als morgens die Worte „Uno, due, prova, prova...“
Schnell raus aus den Federn, auf den Balkon, da kommen schon die ersten
OM, die traditionell die Startnummer 1 der mille beanspruchen dürfen,
weil sie aus Brescia kommen. Und auch Jochen Mass ist schon da, diesmal
am Steuer eines weißen SSK. Nix wie runter zum Frühstück
und los, bevor unser geliebtes Damenteam auftaucht...

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Einige Dutzend Kilometer weiter,
irgendwo in der Emilia Romagna, nutzten wir dann ein Straßencafè
zum Cappuccino- und Fahnenschwenk-Stopp. Und da kommen auch schon unsere
Lieblinge: Gnutti/Bonizzoli im silbernen Porsche Spyder, wie immer mit
vollem Einsatz. Was die Fahrerin aber nicht daran hindert, „ihren“ Fans
schnell noch ein Kußhändchen zuzuwerfen... |
In Rimini dann ereilt uns das typische
mille-Fan-Schicksal: es wird gesiebt. Bei der Einfahrt in die Innenstadt
trennen mehrere Streckenposten die echten Teilnehmer von den Mitfahrern,
und das mit erstaunlicher Schnelligkeit. Während die Teams durch die
Altstadt auf die Piazza gelotst werden, wo ihnen diverse Präsente
überreicht werden, müssen wir gemeinsam mit den zahllosen Assistenza-Fahrzeugen
auf die Umgehungsstraße. Schließlich landen wir an einer Kreuzung
auf einer zweispurigen Straße. Obwohl wir Grün haben, geht nix,
denn auf der Querstraße fahren immer wieder einige mille-Teilnehmer
durch und die haben natürlich Vorfahrt. Ein italienischer Opa sieht
uns mit dem Alfa und dem Lotus in der Schlange und da packt ihn sein italienischer
Stolz: kurzerhand hebt er die Absperrbänder hoch und beginnt uns wie
wild zu winken. Wir brettern kurzentschlossen auf der Gegenfahrbahn nach
vorn, er stoppt den Gegenverkehr, winkt uns nach links raus – und vor uns
steht ein Polizist! Als ich verlegen bremse, schwenkt der aber nur die
Kelle: „Avanti, avanti!!!“ und schon sind wir wieder auf der Strecke...sagte
ich schon: bella italia??? |
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Kurz vor San Marino geht die mille
eigentlich erst richtig los: aus der schnurgraden Straße durch flaches
Land wird urplötzlich ein Ringelwurm durch viele kleine Hügel,
alle schalten 1-2mal runter und der Spaß geht los. Auf den kleinen
Straßen mit den vielen Ortsdurchfahrten ist das Tempo gar nicht mal
soo hoch...aber wenn rechts und links hinter den Absperrungen schreiende
Schulkinder stehen, kommen Dir auch 70 km/h schon vor wie Renngeschwindigkeit.
Und wenn man dann bei der Auffahrt nach San Marino auch noch einen alten
Ferrari GTO ausbremsen kann, das ist schon klasse... |
Auf einem der schönsten Hügel
hinter Mercantino erleben wir dann eine Gleichmässigkeitsprüfung
hautnah. Genau genommen sind es hier mehrere Messungen, die ineinander
verschachtelt sind. Ständig tauchen neue Druckluftschläuche vor
den Teams auf, so daß man schnell mal den Überblick verloren
hat...Start oder Ziel?? Wir unterhalten uns mit einer netten Sportkommissarin:
Wer denn wohl führt? – „Ah, Giuliano Cané, probabiliamente!“
Der Seriensieger der letzten Jahre ist nach einem Jahr Pause wieder dabei.
Und sie sollte recht behalten: Cané hat zu diesem Zeitpunkt bereits
die Führung übernommen und deklassiert wieder mal alle. |
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Es ist witzig, den unterschiedlichen
Stil der Teams beim Anfahren des Schlauchs zu beobachten. Manche gehen
es gaaanz langsam an, so daß die Kommissarin aufpassen muß,
daß das Auto nicht stillsteht (das gibt Strafpunkte!), andere, wie
Cané, brettern mit 30-40 km/h über die Linie und sind ihrer
Sache ganz sicher. Nur der italienische Dottore mit seinem Ferrari 250
hat abends sicher Ärger mit seiner hübschen Gattin: die lehnt
nämlich aus dem Fenster, die Stoppuhr in der Hand, sieht die Linie
und ruft: „Forza, forza!!“ Und mit soviel Temperament kommt er wohl nicht
klar...er würgt vor Schreck den Motor ab, die Prüfung ist im
A..... und die hübsche Gemahlin flucht wie ein Bauarbeiter...! Mamma
mia, la donna!! |
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So wichtig die GLPs bei der mille
sind, so wenig wird hier auf Orientierung Wert gelegt: die Strecke ist
komplett ausgepfeilt, so daß sie eigentlich immer leicht aufzufinden
ist. Naja, fast immer jedenfalls: kurz vor Arezzo stehen wir auf einer
Kreuzung im Stau, ringsum nur mille-Teilnehmer, im Gegenverkehr jede Menge
Pendler. Ein Streckenposten scheint überfordert, winkt uns alle gerade
aus, wir fahren mit zwei Teilnehmer-Autos gemeinsam geradeaus weiter, plötzlich:
Polizeisirenen! Oh Mist, sind die sauer, weil wir ihnen durch die Lappen
gingen? Neeein: die Polizei, dein Freund und Helfer, holt uns ein und gestikuliert:
bitte umdrehen und hinterherfahren, die Strecke geht da hinten links ab!!
Tja, bella italia...ach, das sagte ich schon?!? |
In Arezzo entschliessen wir uns,
mal wieder einen Guck- und Winke-Stop einzulegen. Aber was wir sehen, als
wir gucken, lässt uns das Winken für einen Moment vergessen:
im Mercedes SL mit der Nummer 200 sitzt Boris Becker auf dem Beifahrersitz
– und pennt!!
Damit hat das Bobbele unsere restlichen
Sympathien endgültig verspielt, nachdem er sich vorher schon als Griesgram
gezeigt und winkende, jubelnde Fans einfach nicht beachtet hatte. Boris,
du bist jetzt net drin, du bist raus...

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Am Samstag schließlich beginnt
sich das Wetter endlich zu bessern. Wir empfangen die Teams in Pienza,
der vielleicht schönsten Stadt der Toskana mit einem herrlichen Ausblick
über die gesamte Region. Schon von weitem hört und sieht man
die Klassiker die Serpentinen heraufkriechen, bis sie dann durch die enge
Altstadt von Pienza kommen. Dabei haben die Fahrer schon einiges hinter
sich: als wir uns gestern abend um 19 Uhr gemütlich abgeseilt haben
und ins Quartier nach Perugia gefahren sind, mussten sie noch weiter bis
nach Rom, wo sie dann nachts zwischen 0 und 2 Uhr ankamen. Am nächsten
Morgen geht das erste Team bereits um 6.30 Uhr wieder auf die Strecke –
und das alles in strömendem Regen. |
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Zuviel Regen eigentlich auch für
unsere Freundin Arianna Gnutti: im offenen Spyder macht das keinen rechten
Spaß. Aber aufgeben?? Niente! Schließlich hat sie mit ihrem
Bruder gewettet, daß sie eine bessere Platzierung erreicht als er.
Nur dem kleinen Porsche passt das nicht so ganz: kurz vor Pienza bricht
er sich das Hinterbein und streikt. Ende einer Dienstfahrt für die
beiden hübschen Italienerinnen, keine Kußhändchen mehr
in Pienza... |
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Dafür gibt es eine unerwartete
Begegnung mit Patrick Head, dem technischen Direktor des Williams-F1-Teams.
Er fährt die mille auf einem BMW 328 aus dem Werksmuseum und als er
in Pienza zum dritten Mal von der Brasilienfahne begrüßt wird,
hält er an und fragt: „Was soll die brasilianische Flagge hier?“ Wer
besseres hätte das fragen können...also gut: wir erklären
ihm, daß sie als Tribut an Ayrton Senna jedes Jahr dabei ist, weil
der 1994 nur wenige Tage vor dem Start der mille in Imola tödlich
verunglückte. Als er das hört, stehen ihm fast die Tränen
in den Augen und er meint: „Du weißt, daß ich Ayrton als Teamchef
betreut habe, ja? Ich sage dir, ich habe niemals einen besseren Fahrer
erlebt. Es ist so schade, daß er nicht mehr unter uns ist. Und die
mille hätte ihm auch gefallen...“ Allem Promi-Wahn zum Trotz: es gibt
sie also doch noch, die kleinen, zwischenmenschlichen Begebenheiten. |
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Hinter Siena geht dann aber plötzlich
erst mal gar nix mehr. Erst macht das Gerücht von einem Unfall die
Runde, bis sich herausstellt: da ist nur ein Baum beim nächtlichen
Gewitter auf die Straße gestürzt. Passiert ist keinem was, aber
ruckzuck bildet sich der wertvollste Stau der Welt – und wir sind mittendrin!
Frank beginnt sofort das Fachsimpeln mit einigen britischen Teilnehmern
und trifft schließlich das Damenteam im Bugatti mit der Nr. 35. Die
beiden erhalten spontan unseren Ehrenpreis für die spektakulärste
Ortsdurchfahrt in Pienza – mit 40 km/h durch eine drei Meter breite Gasse
mit Kopfsteinpflaster, das hat schon was... |
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Und auch Markus trifft genau hier
einige Bekannte: ein Freund aus Mannheim, der ihm sofort seine Neuerwerbung
zeigt: eine wunderschöne taubengraue Alfetta-Limousine, unrestaurierter
Originalzustand und nur 20.000 km...nach 25 Jahren! Mamma mia, che bella
macchina...! |
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Der Gipfel der mille, das ist in
jedem Jahr die Passage des „Passo della Futa“ nach Florenz. Hier stehen
wirklich Tausende von Klassiker-Fans dicht gedrängt, um ihre Favoriten
beim Erstürmen des Gipfels zu sehen. Auch wir stellen uns an der Passhöhe
auf und schwenken (natürlich) wieder unsere brasilianische Fahne.
Als der große Regen wieder einsetzt, verziehen sich die meisten Fans.
Wir nicht. Schließlich haben wir hier eine Mission zu erfüllen...und
so stehen wir auch noch im strömenden Regen da, als Patrick Head endlich
angedonnert kommt, hupt und winkt und ruft: „You’re mad, boy!!“ Ob er da
wohl recht hat? |
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Die letzte Passage der mille zurück
nach Brescia schenken wir uns. Sie bietet landschaftlich nicht mehr viel
und der viele Regen der letzten Tage hat uns doch etwas zugesetzt. Noch
mehr allerdings der Elektrik des Lotus Super Seven. Nach mehreren Kurzdiagnosen
stellen wir fest: es gibt ein Problem an der Lichtmaschine, kaum noch Saft,
kein Licht. Also Hotel suchen, ausruhen und auf Sonne am nächsten
Morgen hoffen. Die gibt’s zum Glück auch, wir rollen gen Bologna und
fragen uns, wie wir nun (sonntags morgens) irgendwo eine offene Werkstatt
auftreiben sollen. Mitten im Stadtgewirr von Bologna schaut Doris plötzlich
auf ein Straßenschild und merkt: Moment mal, hier wohnt doch dieser
Freund von meinem Bruder! |
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Und tatsächlich: nur zwei Minuten
nach ihrem Anruf steht Mauro mit seiner Vespa und ein paar Schraubenschlüsseln
vor uns. Als er den Wagen sieht, schlägt er kurzerhand vor, zu ihm
nach Hause zu fahren – grade zwei-, dreimal um die Ecke. Gesagt, getan:
wir parken den kranken Seven in seinem kleinen Hof und beginnen zu schrauben.
Das Problem ist schnell gefunden und dank Mauros erstklassig ausgestatteter
Vespa-Werkstatt auch bald behoben. Und dann? Na klar, dann kommt Mauros
Frau Silvia zu uns in den Hof und sagt: Ihr könnt dann auch essen
kommen, die Pasta ist fertig!! Keine Abreise ohne ein ordentliches Mittagessen,
ein wenig Käse, Rotwein, einen Café und eine nette Unterhaltung.
Ich weiß nicht, ob ich es schon sagte...bella italia!!! |
ENDE